„Niemand darf angeklagt werden, ohne zu wissen, wer er ist“


Richter Heiko verlässt sich seit 40 Jahren auf seine Kinderstube: Messer und Gabel sind wichtig und richtig, und wer seinen Darm (das sog. Innere) nicht mehr halten kann, möge sich vereinzeln! Durch die klammheimliche, zugleich außerordentlich grobschlächtige Erziehung seinesgleichen ist er durchwegs eine Kopie geworden. Soweit hätte es im Grunde nicht kommen dürfen, hat er mit 17 gedacht, mit 18: Betrug!, mit 25: Therapie!, mit 30: vergessen, vergessen, lieber noch einmal anti-ödipalen Verkehr haben, solange... Soweit.

Die Nachkommenschaften seinesgleichen: bitter! Eigentlich nur das schlechte Gewissen, dass der Tod echt endgültig ist. – Man muss sich seit der Kinderkrippe für den Beruf prädestinieren. Eine eigenwillige Übereinkunft, das war bald klar: inwieweit ich mit einem Kochlöffel aus der Mädchenstube agiere... , das kann ich noch lange nicht auf mein Hämmerchen (Richter richten mit dem Hammer!, sagte ein unglaubwürdiger Kommilitone im Suff; und weiter: das Unrecht austreiben!) aus der großen Welt beziehen. Da fehlt mir noch die Schamlosigkeit. Ansonsten kann man sich hilfreich machen: in schlechten Zeiten fällt einem moralisch einwandfreien Kind schon mal ein bittersüßer Aphorismus, wie aus dem Leben gegriffen, ein: es muss weh tun, damit es was hilft.

Aus dem Reisebus ist in dem Zeitungsbild eine Horde (vom Balkan) ausgestiegen: recht unartikuliert. Mit den Händen immer fuchteln, und dann in die Büsche gehn! – das ist das Gegenteil von zivilisiert, das ist eigentlich eine Zumutung... usw. – Richter Heiko (mit dem kecken Namen) verzieht da nichts mehr: mit dem Pokerface ist das aber auch so eine Sache: man kann ja nicht immer rücksichtslos agieren – zum Beispiel wenn jemand mit seiner ganzen Trauer (geschauspielert oder nicht) ankommt, und die Waffen ganz andere sind; d.h.: man muss sich auf den Gegner auch einstellen können (die Waffen wechseln, den Panzer wechseln, das Kriegsgut). In einer heilen Welt würden die Menschen nicht aus Bussen steigen, sagt die Alte, die würden nämlich vielmehr auf Pferden reiten (sie denkt: auf Einhörnern), und insofern ist die Verkehrtheit der Welt nicht zu bestreiten.

Wie man mit der eigenen Illegalität auskommen lernt:
Die vielen Verdächtigen verstecken sich nämlich gar nicht: in die Büsche - nur zum Pieseln. Eigenartig: man hätte ihnen die ganzen – wohl sortierten, hart erarbeiteten – Hygienestandards angeboten, berichtet die Sachverständigerin, aber: sie haben immerzu sich nicht lumpen lassen. (Die Frau hat nicht nur mit Sachen zu tun, was ihre Freundschaften enorm aufpeppt!). Das Unheil nimmt diesbezüglich insofern seinen Lauf, als dass: die Kinder auch in die Büsche gehn! Heile, heile, Bastard! – So wirst du das, was du bist: das Ende ist immer ganz lange schrecklich, speziell was die ganze Evolution betrifft: wenn nur alle einmal gut wären, wären alle ein für alle Male gut! (die ganzen modernen Demokratien, denkt Richter Heiko, haben das nicht eingesehen; [er grübelt über seiner Abhandlung; mit Namen: „Was wir vergessen, wenn wir uns bloß rächen“]; die arbeiten einzig an der Erhaltung meines Berufsstandes – eine fatale Spezialisierung!).

Für die Rechtssache gilt: Niemand darf angeklagt werden, ohne zu wissen, wer er ist; egal, wo er hin-will, egal, wo er her-kommt. (Merkwürdig, denkt die Alte: ich dachte immer das olle Leben bestünde darin, zu bleiben, wo man ist; ich hab mir meine eigene Geschichte nie anders vorstellen können – wenn mich meine Biographie die letzten 70 Jahre lang schamlos betrogen hat, sitze ich eindeutig einer Lüge auf; d.h.: ich muss das Verkehrsmittel wechseln!!! [Pferd, Einhorn... - Jet, Luftwaffe, Düsentrieb]).
Richter Heiko vertritt sich hier nicht selbst. Er ist die Repräsentanz von ganz vielen einzelnen Akten, Fakten, Daten, Umwegen usw., d.h.: er muss das Chaos schlichten: in einer Person! Das ist auch eine Lebensaufgabe, was soviel heißt, wie: es kann in einem einzigen Leben eigentlich nur schief gehn, bloß: wie soll man das klarstellen? – Man kann ja den Arbeitstag schon so schlecht erklären: wie ich auch mal den halben Tag nur drüber nachdenke, wie ich den ersten Satz mache, wenn ich dann die Rede halte. (Gute und schlechte Redner: immer wieder mal neu anfangen, oder (schlecht): immer die Predigt von 1983 dann zwanzig Jahre später wieder auspacken, usw. – niemand merkt’s, aber: schlecht fürs Arbeitsethos; nur der Affe denkt: Zynismus sei eine Überlebensstrategie!).

Wenn der Saal voll ist - mit Journalisten, geb’ ich eine Erklärung ab, denkt Richter Heiko, ich sage dann: bitte richten Sie den Blitz nicht immer mir direkt ins Auge, ich muss nämlich entscheiden! – Heissa, dann steht die Bude still! (Der Inhalt des Reisebusses steht in keinem Verhältnis zum Ritual meines Gerichtssaals, d.h.: ich muss hier keine Verhältnisse ausbilden! Genauer: ich kann mich nicht auf den Spezialfall hin auslegen lassen, weil das ja gerade mein Amt ist: dass ich das Gesetz rücksichtslos [„ohne Rücksicht auf...“] anwende.)
Dann sind also die vielen Illegalitäten auf meine (große, einzige) Legalität hin, die ich verwalte, in hohem Maße vernachlässigbar, was allerdings meine Entscheidungsgewalt nicht schmälert (das wird eins zu eins in die Abhandlung übernommen werden; oft kommen einem die Gedanken während der Arbeit; wenn ich nämlich zuhause über meinen Hobbys brüte, verliere ich den Kontakt zu mir selbst – das ist belegt.)

Der Reisebus wird beschlagnahmt: es ist nicht sicher, ob da nicht in den Sitzpolstern noch mehrere Eier brüten: wahrscheinlich ein großes Unternehmen, das ganze; hätte sich wahrscheinlich auszahlen sollen: jetzt zahlt es sich tatsächlich doppelt aus: doppelt schlecht – macht: doppelt gerecht! (ob die Poesie des Alltags auch eine Kunstform ist? – Eine Auseinandersetzung mit der Ästhetik der Welt ist für Richter Heiko – allerdings – noch ausständig.)

In allerletzter Instanz gibt Richter Heiko einen gut gemeinten Ratschlag: Wer in die Büsche geht, fürs Geschäft, hat als allerletzter recht!

(Der Wohlfahrtsstaat wird eine Lösung für den Reisebus aus dem Balkanland finden: das ist allerdings Richter Heikos Sache nicht.)

(Im Abspann der Fernsehberichterstattung über den Prozess wird ausdrücklich auf die Kooperationsbereitschaft des Rechtsstaates hingewiesen: ein erfreuliches Bonmot. – Das wird man den Kindern erzählen können, denkt Richter Heiko: sie werden dann den nötigen Stolz aufbringen. – Vor dem Einschlafen dennoch immer derselbe Satz: nur nicht eine Kopie von sich, nur nicht die Frucht der Lenden an die Wiederholung verschwenden! – Geht aber nicht zusammen mit meiner Metaphysik*: das ist bitter!)



* wenn nur alle einmal gut wären, wären alle ein für alle Male gut!