Der Sommer der Anarchie wird kurz sein, und: auf Gran Canaria! ("houses in motion"/exit europa: James Joyce & ein Bahnhof!)



I. Funktionen im Selbstlauf

Guido träumte einst von einer international gefürchteten Börsenmaklerin. Die Vorstellung einer Frau mit Knopf im Ohr und Entscheidungsmacht hatte im Sommer 1995 seine Sexualität geradezu beflügelt. (Ihr Hosenanzug: für Guido damals die pure Perversion.) Heute schaltet Guido Anzeigen in der sogenannten Presselandschaft. Als offizieller Teil der Journaille war er ein durchaus anerkanntes Mitglied in seinem mittlerweile gutangezogenen Freundeskreis. So war die sexuelle Energie in der Sackgasse gelandet.



II. Man muss sich auch freiwillig selbst kontrollieren

Wir begegnen Guido: er sagt, er hätte sich das Ganze nie anders vorgestellt, hätte inzwischen mit seiner Cousine zweiten Grades eine Familie gegründet. Die beiden Racker: beim Plantschen, und da: da haben die fast nichts an. Aber die spielen nur: die spielen ja nur, dass sie nackt sind, die Kleinen, die haben doch keinen Tau! / Guido muss einen Schluck trinken; man kann das nicht genau benennen, sagt Guido, die Schmerzen, die kämen von ganz unten, er müsse da mal zum Arzt, aber man kann sich nicht dauernd hysterisch verhalten, sagt er, man muss auch ein Vorbild abgeben. Gerade der Alltag sei ja heutzutage durchaus geprägt von Hysterien, von Ängsten; er sagt: in den (Großraum-) Supermärkten (den Lagerhallen; Treffpunkten; den Orten also, um die herum sich die Biographien organisier’n), genau dort werde mit Angst gehandelt. Immens sei da eben auch die Paranoia, von oben, unten, seitwärts, von überall durchaus angegriffen zu werden. Sich zur Wehr setzen, das ist doch mittlerweile die einzige Strategie. Guido (hingegen) wartet da lieber mal ab. Er stellt sich die Kindheit seiner Kinder vor und das macht ihn stolz und stolzer war er nie.



III. Das Gehäuse muss abgedichtet werden

Guido: Sagen Sie mal, wie ist das als Manager, haben Sie da nicht manchmal auch Gewissensbisse? Schließlich muss man ja auch eine gewisse Radikalität an den Tag legen; sozusagen auch mal alles und alle links liegen lassen, über diese Leichen geh’n, die einem doch ständig den besten Weg abschneiden; also auch gegen die Ströme, die das ganze Kapital unterminier’n wollen, gegen die Ausfälle: auch die sogenannten Patt-Stellungen: sind ja in der ganzen Menschheitsgeschichte keine Seltenheit; wenn also die Ströme vorläufig stillgestellt sind, formieren sich da nicht unterhalb die ganz großen Gegen-Ströme; und diese Leichen, die hat dann doch jeder im Keller, wenn Sie verstehn. Das Problem ist doch ein zweifaches: einerseits produzieren Sie Ausfälle, Sie produzieren dauernd Lücken im System; unter der Annahme nämlich, Sie müssten Ihren Mitarbeitern auch mal einen schmutzigen Witz erzählen, auch mal mit denen auf Gran Canaria die Fünf echt grade sein lassen. Der Ausfall soll produktiv werden: andererseits potenziern Sie damit den Ausfall: er wird salonfähig; kommt dann erfahrungsgemäß im Überschuss, doppelt, mehrfach, aus allen Richtungen... Sie sehen: es geht hier um Prinzipien, um Grundsätze, um - wenn Sie so wollen: Leitgedanken. Man kann sich doch durchaus vorstellen, dass da, in den Lücken, dass da die Potentiale liegen, den Ertrag noch mal ins Unermessliche zu steigern. Können Sie sich vorstellen, dass diese Vision auch wahr wird? Unser europäisches Projekt lautet doch: die Pausen, Fehler, Lücken im Gehäuse abdichten; alles dicht machen, nicht?

Manager: Ich bin von Natur aus ein geduldiger Mensch. Sehen Sie: von hier aus verwalte ich Hongkong (er zeigt behutsam auf sein Mobiltelefon). Ich habe ein Patenkind. Lebt am Nil. Gut ernährt. Sieht fern. Das heißt: meine Hände sind schon heute in diverse Zusammenhänge verwickelt. Das europäische Projekt ist in diesem Sinne vernachlässigbar. Die Beziehungen sind vernetzt. Wir müssen uns nicht nach unsren afrikanischen Patenkindern richten; aber: wir können es! Das ist unser entscheidender Vorteil. Wir leisten uns den Abstecher in ein Schwellenland: dort werden wir in fünfzig Jahren (endlich auch) das post-industrielle Zeitalter eingeläutet haben. Von dort aus werden wir die Welt gleichschalten. Ich kann mich nämlich nicht damit zufrieden geben: dass die Erdkugel ein einziges Ungleichgewicht darstellt. Und dass man die chinesische Mauer vom Weltall aus sehen kann, erfüllt zwar auch mich mit Stolz. - bloß: der Okzident muss sich um ganz neue Ziele bemüh’n. Die Marschroute lautet: Investitionen nach: ganz vorne. Das ist nun eine Ansage, die Sie vermutlich nicht überraschen wird. Aber: wir beobachten unsere Kollegen aus der Schweiz: die alten Mittel bewähren sich. Wir können uns nicht rücksichtslos dem Neuen verschreiben; es ist ein Fluch; „der Fluch des Neuen!“ Auch wir – und ich spreche von einer Generation von Managern, die noch die sogenannten Ärmel hochkrempeln konnte, wenn Not am Mann war – ja, auch wir: sind in Gefahr. Es ist ein Dschungel. Auch eine Risikogesellschaft. Für alle. Sie ist vielseitig. Man kann sie gerade nicht mehr beschreiben. Ich fühle aber eine gewisse Verantwortlichkeit, ja, das tue ich.




IV. Guido lebt in Zusammenhängen, die er kontrollieren kann

Guidos Cousine zweiten Grades, die sich in ihrer Funktion als Ehefrau an ihren Mann sexuell verausgabt, kann mehrere Dinge gleichzeitig tun: sie kann die Maschinen, die sie um sich hat aufstellen lassen, synchron bedienen. Man kann ihr an diesen Geräten nichts vormachen. Ihre Kompetenz macht noch heute die Nachbarn geradezu wütend: wie die mit der Fernbedienung agiert!

Im Haushalt sind die Funktionen abenteuerlich aufgeteilt: das meiste wird an die Geräte abgegeben. Es ist ein komplex-dynamisches Netzwerk, das hier vorliegt. Manchmal kommen selbst die Kinder nicht mehr aus dem Staunen heraus: alles bewegt sich: selber muss man das nur mehr rudimentär, sich bewegen. Trotzdem halten hier alle ihr Gewicht. Das Roboterhafte dieser Hausgemeinschaft hat finanzielle Gründe. Alles wird angekarrt!


Und insofern gilt (für Guido): in meiner Freizeit bin ich ein anderer Mensch. Ich begegne mir Sonntag morgen unter der Dusche: ich bin nicht wieder zu erkennen. In meiner Freizeit bediene ich Maschinen. Hingegen verlangt mein Arbeitsverhältnis die genaueste Kenntnis der menschlichen Komponente.