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so eine verträgliche, lässige übereinkunft:
dass wir zu dritt sind, dass wir einen garten haben mit schaukel, dass wir vernunftbegabt sind und fix und fertig und angezogen für den abend, dass wir die aufsätze gelesen haben und ein kleines argument daraus nacherzählen können mit dem blassrosa kreidestift; dass wir koteletts mit mayonnaise essen, dass wir – und das ist uns das entscheidende – jeden dienstag zur chorprobe gehen wie die verlässlichsten menschen, was in der sache einfach daran liegt, dass wir hinterher jedesmal mit rudi schlafen, denn: sie kennt sich aus und sie macht es gut und sie gefällt uns.

ich kämme ihr haar, mache ihr die zöpfe und sie spielt mit dem mund eine musik: sie legt eine platte auf, imitiert das nadelgeräusch, und sofort geht irgendwas los bei mir: was ist das? ich will es wissen!, kann man überwältigt werden davon?, frage ich, wieso geschieht das so selten?, rudi!, sag’ es mir! und sie gibt mir die antwort wie einen klaps: was willst du lernen?, du weißt ja schon zwei, drei dinge zu viel über den busfahrplan, über den aszendenten und den kosmischen tag! und von dem ganzen angelesenen zeug will ich gar nicht reden. – so geht das mit rudi.

seynabou erzählt einen nachmittag lang ihre neue liebe, präsentiert sie in irgendwie zu lang gezogenen gesten, steht manchmal auf dazwischen und macht pantomime, macht eine notiz, legt zwei, drei fotos vor. es ist wie im fröhlichen verhör: seynabou im verhör mit sich. einmal wechselt sie ins französische, dann wieder in den befehlston. alles das macht sie für uns, denken wir, wissen wir. aber kann sie denn beweisen, dass es das alles gibt? ja doch und ja sowieso. wir sehen’s doch schon vor uns wie den trailer zum film, der im loop läuft und immer besser, greller, detailgenauer wird: alma vergnügt sich im schwimmbad, alma lernt eine taxifahrerin kennen, mit der sie die nacht verbringt und von der sie in der morgendämmerung schon alles weiß, alma raucht ihre selbstgedrehten zigaretten immer nur bis zur hälfte, und dafür gibt es keinen berichtenswerten grund.

rudi hört von alma und setzt ein kichern in gang, das viel zu laut ist, um noch geglaubt zu werden von uns. wir geben ihr ein händchen zum trost, sie wirft es weg und will wütend werden, reagiert aber stattdessen auf die nachrichtenstimme aus dem radio, das nebenher läuft, reagiert auf die sprecherin, die uns nicht verhöhnt, die keinen gelehrigen zombie gibt für uns: sie lacht, wirft einen selbstgeschriebenen text so nonchalant hin, so symphatisch durch den äther, dass unsere aufmerksamkeit gebündelt wird, dass diese aufmerksamkeit ein uns verbindendes wird jetzt: sie würgt eine ablenkung weg (und kichert), sie versucht es wieder (nicht abgelenkt zu werden), doch es klappt nicht und sie muss abschweifen. dann bringt sie den satz doch zu ende und sagt einen klugen gruß. so klingt ein abschied. wir beschließen sofort ihr zu schreiben, irgendeinen dank zu tippen und einen witz, der für uns alle gelten kann, mit dem wir uns kurzschließen können mit ihr. rudi ist froh und enthusiatisch beim entwerfen dieses textes, denn es gibt glücklicherweise jetzt keinen grund mehr über alma zu reden, über alma, an die sie nicht glauben mag, weil sie seynabous erzählungen – so hat sie es einmal gesagt und oft und immer wieder – weil sie diese erzählungen inwendig kenne und ja doch fast keine davon je gestimmt habe, weil seynabous phantasie kolossal sei, und es eben diese kinderphantasie sei, die ihr die zeilen diktiere: lest doch mal in ihrem notizbuch, war rudi einmal rausgerutscht, naja, sagten wir: rudi, dir können wir ja doch nichts übel nehmen, dir müssen wir ja doch alles verzeih’n!, und trotzdem: hör auf damit. – später läuft schlagwerkmusik. jemand spielt dreiminutenlieder aus den hitparaden auf xylophonen. wir driften ab. es geht so lange, bis der tag vorbei ist. 

alma verträgt das neonlicht nicht auf dem klo in dem café, das uns das liebste ist: sie kommt raus, beschwert sich, sie jammert, sie ist keine angenehme person, schon den ganzen abend lang nicht. wir wollen ihr nicht mehr folgen, nicht ihr und nicht der langen rede, die sie recht eigensinnig spinnt. seynabou sieht das. sie fällt beinah vom sessel deswegen. es gibt keine auseinandersetzung jetzt, es gibt nur ein warten. wenn wir alma nicht mögen, wenn wir sie nicht aushalten können, steht uns ein langes stummes verhandeln bevor, pokerfaces, wir wissen es. seynabou will losrennen, glauben wir, und geht stattdessen ruhig nach draußen vor die tür. dort raucht außer ihr noch jemand, der mit ihr ein gespräch anfängt, sie entlastet, und uns entlastest, und nichts davon weiß.