sonntag, 24. mai 2020, 10:19


ich ging ohne zeugen, ohne ein aufsehen. wie ich die spektakel zeit dieses lebens gemieden, ja vielleicht abgelehnt hatte, so, auf diese weise ging ich: still. und ohne mitwisser. kein zeugnis ablegend; keinen brief, keine kassette, kein file hinterlassend. nichts erklärend. kein hinein-gerede in einen abschied sollte noch eine alternative anzeigen, wo ja doch nur, von anfang an, alles versäumt, nichts am rechten platze gewesen war. /

in den stunden zuvor wanderte ich rastlos die avenuen auf und ab. der unruhe mich ergebend, schwitzend. schwer in den eigenen beinen stehend. als wollten wurzeln von unterhalb mich halten, als hätte mich eine irdische polizei festhalten wollen, auf ein revier bringen, ausfragen: wer sind sie und wohin wollen sie ? ja wohin wollen sie denn und wer sind sie überhaupt ? ––

die schönheit der vorbeiflanierenden menschen berührte mich noch, ich gestand es ein. die frisuren. diese unablässige, vielleicht aufopfernde energie, dieser optimismus, der sie jeden tag ihr haar entwirren, kämmen, begutachten ließ, sie jeden tag das eigene aussehen aufsetzen ließ wie lack. ein make-up des ganzen, des gesamten, jeden tag aufs neue beginnenden daseins. ein aufwand, den zu meistern, zu leisten, den abzuarbeiten für mich bloß als gedanke schon ins groteske reichte. und der doch so verbreitet war, dass er wirkte wie ein amboss als norm. wie eine norm als amboss. wenn sie fiel. ja wenn sie denn niederging. kabumm.

das alles trug sich zu, als ich noch da war. solange eine sonne schien. für die kellner. die trafikanten. die ladenbesitzerinnen. die vorbeigeher, die spaziergänger. für die, die mich nicht beachteten, und denen ich doch vor die füße stolperte: als eine gestalt im speckigen gilet, unrasiert, sich vernachlässigend vielleicht. schäbig-bourgeois, unvernünftig, einer guten kinderstube zum trotz. mit den besten voraussetzungen – und sie alle verschwendet habend: eine müde tickende uhr jetzt, die durch die straßen kullert –– ° –– ein auge als uhr. ein körper wie eine iris. und dann wieder wie ein gefällter baum, der bald nur noch holz ist, brennholz, ressource; der zum material geworden laut einen abgesang schreit, während ringsum alles dröhnt, was dröhnen kann: moment!, das war doch die welt!!?, sagst du dir, und hast sie schon vergessen. ihr dröhnen erreicht dich nicht mehr; und so fragst du dich, ob es überhaupt existiert. – ja und wenn es nicht existiert: was kann es dann gelten ? was gilt es dann ??


.
.
.


»you must make your death public«

(chris kraus)