samstag, 21. november 2020, 18:10

aus den »lehren des gläsernen hauses«, erster band, 1997




nikita, das mutterschiff

als ich dich treffe, bist du schon tot.
bevor ich dich treffe, machst du klapprige fotos für die zeitung, rufst zurück, schreibst e-mails (etepetete-stil), bist pünktlich, schipperst seriös im ozean, trägst enge oberteile mit fransen (nie aus badeanzugstoff, du magst das synthetische nicht, du magst stattdessen enge leinenhosen, keine turnschuhe (nie gemocht; du trägst aber sowieso fast nur socken, wegen der zierfische, die zehenkitzler sind, was jeder weiß). du bist elegant, fröhlich, beweglich, ein ganzes-in-teilen wie ein wespennest. du bist kein kind mehr. du lügst, dass sich die balken biegen (paranoider stil), du kennst die tsushimastraße in und auswendig und den berg aus »fitzcarraldo« (du überwindest ihn im traum, keuchend, quietschend – so lange, bis du aufwachst mit dieser einen gewissheit: affen über mir!, affen unter mir!, affen in mir! – und aus dem dschungel schwimmst mit tempo 200: so ein faux pas! – das war ein anderer film!).
du bist als boot ein lebendes bild von freiheit (naja wärst du: wenn du nicht so beschränkt wärst).



meisterschaft durch beschränkung

du bist ein kleines beerchen, du hast kein großes ehrchen / du lebst in sehnsuchtsschleifen, verhinderst so das reifen //
NIEMALS NIE AUSREIFEN – NIE!, sagst du dir
und mixt ein nächstes whiskey-cola dir ––



kirmes mit crystal

ich leide unter dir! – sage ich und stöhne auf: du bist als fließendes wasser eine existenz jenseits der norm!, benimm dich doch zur abwechslung einmal hart und kantig – wie ein leutnant in uniform um 1900 oder wie eine nonnen-anwärterin zumindest (wie nennt man sie? novizinnen?). ich sage dir: du hast nie in die form gefunden, ich wiederhole das: du hast nie in die form gefunden!, deine elende stromlinienform: ich bitte dich! du strömst doch niemals den grand canyon weich, niemals höhlst du den stein, niemals: nein.

wir gingen – trotz meiner unverbesserlichen kritik – aus, ließen es auf einem dorffest krachen, indem wir alle hüllen fallen ließen (erster streich) – und uns anschließend, wieder angezogen, das zuzwinkern des autodrom-schraubers zuzogen (es war wenig halten ab da). – ich legte, ganz im sinne eines gemeinsamen anfangs, los mit der gesummten version einer schlagermelodie, und flammte schließlich in extremspannung auf: wer war ich als exzess? (doktor ratlos) – ich ließ die fäuste sprechen und die füße, mehrere hiebe und die stimmungen zwischen den paar zeilen (das war so ein einverständnis-kick zwischendurch, der nur geht, wenn man sich gut & lange kennt). der autodrom-schrauber verstand hingegen als fremder sowieso auch jede andeutung aus dem ff (naturtalent) und legte uns die finger zwischen die beine, worauf du (wie oma) noch entzückt ihm ein »daumen-hoch« vor den latz legtest (sanft), während er schon wieder behände zum reißverschluss seines overalls griff: er musste weg. oh heillose verquickung von umständen, pfiff ich: er hatte keine zeit für uns. er musste schrauben. es war sein beruf. – eine schiarche stimme schrie ihm nach. – das ganze war kein erfolg.

wir ließen, angesengt und traurig – herumdösend wie zu lange in der plastikbälle-landschaft gelegen –, die handys spielen und du sandtest, gespielt gekonnt, deiner dealerin ein paar chiffrierte zeilen, die da wirkten, weil sie ankam in plus-minus 15 minuten, auf ihrer vespa, aufgedonnert wie die fernseh-femme fatale ohne jede einschränkung (außer der der abgeranzten vespa). ihre preise waren – erbarmt euch, rief ich in richtung globaler märkte – genauso extrovertiert wie sie: ich kritisierte ihre preisgestaltung, worauf sie mir viele finger zeigte und wir uns, im sinne der mitmenschlichkeit, rasch einig wurden. padauz!: wir hatten »die lösung«.

der rest des abends verlief ruhig und von uns cool geschauspielert in vollem wissen um die paranoia, die sich am nächsten morgen einstellen würde: die sich am nächsten morgen einstellte:

du – im flüssigen zustand: wurdest hart.
ich – im harten zustand: wurde weich.