Alin


die augen gehen nicht nach rechts, nicht nach links, denn dieses bild: ist in front. und in der hand. geradeaus, jetzt. – später ist da ein anderes, ein nächstes, und eines, das auf ein nächstes folgt. sie alle warten, existieren in serien, erinnern an einen tag zu dritt im park, an zwei stunden freizeit, die eine währung sind – und umgerechnet 50 bilder ergeben. was heißt das? alle 2 minuten ein bild? – nein, nicht ganz. und dennoch geht: so oder so ähnlich der takt, ja der rhythmus dieser art zu leben:

Alin.

im rückblick erscheint manches banal, zu wenig speziell – wie diese bilderfolge, wenn sie zu wenig erzählt. gegen das blasse, gegen die langeweile kommen immerhin die farben, legen sich über die bilder, naja werden dorthin gelegt von erfahrenen fingern: sie ziehen dem bild, das einmal rein und fast schon artifiziell war, in dieser reinheit, denkt Alin, den schmuck an – wie bunte ketten um den hals: 

den firlefanz,
den filter.

Alin zeichnet sterne, flugzeuge, muffins, ganze einhörner in die gesichter ihrer freundinnen. sie legt notenzeichen in ihre gedankenblasen, eine kolonne von fragezeichen, viel interpunktion. sie beschreibt das kichern, das zu sehen ist, mit buchstaben, nein, sie widerspricht diesem kichern eigentlich – mit zeichen; sie macht die bilder komplizierter dadurch, mehrdeutig, naja zweideutig vielleicht. so oder so ähnlich jedenfalls geht dieser spaß:
Alin.

Alin streift durch die gates, die warteräume, passagen. sie lehnt an einer säule, macht ein bild von sich, setzt dem bild einen balken auf, zieht ihn über: er steht da wie ein riesengroßes minus, das aber nichts durchstreicht, im gegenteil: es bekräftigt. das bild will schrift und kommentar, will bewegung, aus sich heraus; es sagt: vergesst die bilder aus dem park, vergesst die fotos von dann und dann, denn was ihr seht: ist jetzt,
ist ein flughafen,
ein mädchen im trainingsanzug,
sind gelbe streifen, blaue streifen,
embleme, logos, farben;
ist das blond-sein,
eingecremt-sein
und duften. /

Alin ersetzt die zahmen sätze durch ausrufe, schiebt das, was sich nicht sagen lässt, zwischen die zeilen: so bricht ein halbes wort durch ein schreiendes herz, geht wie ein spieß durch einen roboterkopf. so findet ein eichhörnchen seine nuss, und die notenschlüssel werden aufgeblasen, bis sie platzen. so kommt die tsunamiwelle g-r-o-o-ß, und der tausendfüßler schlängelt sich durch. die augen werden weit, verformen sich, ein blick springt über – er wird ein wasserfall. und alle gegenständen ringsum: bekommen jetzt einen bart. – alles, weiß Alin, was ich hier forme, was ich tue, ist noch im werden, ist noch nicht ganz da, ist noch nicht: perfekt –

und so tippt Alin, und tippt – und löscht, im gehen:
tippt
und tippt
– und löscht. /

Alin kennt viele kanäle, ja ganze pools für ein vertausendfachtes selbst. sie weiß, dass all die bilder, die dort landen, nichts feststellen, nichts fixieren, sondern entwerfen. dass sie skizzen sind, die das fertige immerzu aufschieben. dass ihre unaufhörliche folge eine riesengroße ankündigung ist, die lautet: von uns, da gibt’s noch viel mehr!, wir sind die schiere menge!, wir sind die unendliche zahl! – aber! aber!, stoppt Alin den gedanken, der so leichtfüßig geht: was heißt das?

gehören sie alle zusammen? (in die gemeinschaft der bilder?) – nein!, weiß Alin.
gleicht eines dem nächsten, ja sind sie alle gleich?, ident & infinit? – nein!, weiß Alin.


Alin räuspert sich, denkt nach.
sie kennt das unwiderstehliche dieser bilder: ihre schönheit.
sie weiß um ihr unvermeidliches: die antworten, die sie verlangen.


die menschen am flughafen machen platz. Alin trägt ihr trainings-trikot nummer 2, wie alle aus dem team. gemeinsam sind sie eine truppe, machen eindruck, sind von weitem schon zu sehen. im gehen schiebt Alin den linken kopfhörer ein stück weiter ins ohr. sie schlendert lässig, verbirgt ihre müdigkeit, verbirgt die fünf spiele, die sie intus hat, versteckt einen komplizierten schmerz. sie sucht den blick der spielerin neben ihr, schmunzelt, zeigt auf ihr display: sie sagt einen satz, schüttelt den kopf. lacht.

Alin ist auf dem weg nachhause: dort, wo sie herkommt, hat sie vieles aufgezeichnet, vieles dokumentiert, ihre körbe zum beispiel, die erzielten punkte – die zeigt auch die statistik. so ein erfolg in zahlen, weiß Alin, ist nur die halbe geschichte, erst die bilder liefern den rest. sie werden, denkt Alin, alle es wissen, alle es sehen lassen, noch bevor dieses wochenende vorbei sein wird: alles sehenswerte, alles, das gezeigt werden kann. und alle, denkt Alin, werden stolz sein, oder sich herausgefordert wissen zumindest: zu einer antwort, einer reaktion. und diese reaktionen, weiß Alin, werden ein labsal sein für die ausgehungerten augen, werden umzumünzen sein in gute gefühle, werden lindern die schinderei, vergessen machen die trainingsstunden, die blauen flecken, das angetrieben-werden, das angetrieben-sein, die kurzen tage, die fiese disziplin und das ständig nasse haar: 

diesen sport.

Alin nimmt den rollkoffer vom förderband, zieht ihn durch die schleuse, sieht die luftballons hinter der absperrung in der empfangshalle, die blumensträuße, die vielen gesichter. zwei meter vor ihnen bleibt sie stehen,
stellt das spielbein vor das standbein,
greift in die hosentasche:
und macht ein foto.