mittwoch, 22. april 2020, 7:57

aus den »lehren des gläsernen hauses«, erster band, 1997,
kapitel 101, appendix a


in mir existierte ein eigener raum zum spitzen von stiften. die heruntergefallenen späne bildeten dort eine kleine, sicherlich liebliche hügellandschaft. (es wäre schön gewesen, durch sie hindurch zu fahren, mit einer miniatureisenbahn, die ich von einem gepolsterten sessel aus hätte steuern können; zu einer solchen anschaffung hatte ich mich allerdings zu keiner zeit durchringen können..)
ich begab mich manchmal in dieses zimmer, nicht um zu spitzen, sondern um einigen eitlen gedanken nachzuhängen, in denen dann nolens volens, so schien’s, das spitzen und kürzen und abschleifen in metaphern und analogien auftauchte: ein leben lang dieselbe klinge schleifen – was heißt das? aus dem unkoordiniert dahinkullernden oval, das ein mitmensch ist, eine pfeilspitze schneiden – was heißt das? ––

in tagträumen erschien mir hier regelmäßig eine klosterschwester, die mir vorwürfe machte, ja mich wüst anklagte; manchmal notierte ich szenen aus diesem lamento nach dem „aufwachen“ in ein herzförmiges notizbuch: »auch ich bin in dir, akzeptiere mich! leugne mich noch länger, und du implodierst!« (sie war aggressiv für ihr „alter“. [natürlich hatte sie kein biologisches alter. sie war eine fiktion hinter einem vorhang, einem habit.]) die nonne „stresste“ mich nicht, wie man so sagt. ich konnte aber auch nicht behaupten, dass ich ihr besonders zugeneigt war. manchmal las ich cindy la maine einige ihrer kommentare aus dem notizbuch vor und bat sie um eine deutung:
cindy antwortete darauf entweder mit stepptanz oder einer abschweifung, die letzten endes darauf hinauslief, dass wir für ein gemeinsames theaterprojekt probten, das – wir wussten es – niemals öffentlich werden, immer unser geheimnis bleiben würde.

manchmal legte ich zum spitzen der stifte pöbeligen hiphop auf. (es geschah niemals in der absicht, die wütende nonne zu vertreiben, niemals! – ehrlich...) ich denke, ich benutzte diese musik zur „selbst-motivation“: es floss dann alles besser. es schoss dann eine bestimmte haltung, ein geneigtsein in mir ungleich schneller hoch: es war eine innere schieflage, die mir als voraussetzung für die bearbeitung gewisser „probleme“ diente, die ich so hatte. mach stress! bin rich! hau in die fresse! bin real, hab die crew, zieh dich aus, lecker lecker! – so ging das.

so kam’s mir:

sie hatten cindy la maine hervorgebracht.
wie hatten sie cindy la maine hervorgebracht?

sie hatten einmal zu cindy la maine gesagt: sei einzelhandelskauffrau, sei ein peruanisches model, sei ein muttertier, eine herausforderung, eine festung, eine burg, eine gute idee! komm mit uns auf den weg, laudato si, halt die ohren steif, usw. usf., du bist eine von uns! – in ihrem eisernen widerwillen gegen jedwede instruktion zog cindy 4 karten aus einem ziemlich hohen kartenstapel: sie interpretierte das ergebnis völlig entgegen der gängigen auslegung (dachte sie), und beschloss fürs erste, surferin zu werden. denen, die sie hervorbrachten, war das (cindy wusste es, glaube ich, nicht; wusste sie es?) ganz recht: sie wussten ja um ihre eigene PRODUKTIVE WIRKUNG und imitierten seither wiederum einen widerwillen gegen cindys entscheidung, ja taten so, als würden sie ein surferinnen-dasein einer cindy la maine ablehnen, als wäre sowas ein offiziöses ärgernis, dabei hatten sie cindy damit ei-gent-lich, aus ihrer sicht, auf linie. das repressive gebrabbel ihr gegenüber verschärften sie allerdings sogar noch, im glauben, es diene ihren absichten: der aufrechterhaltung eines verhältnisses zu cindy, und damit, letzten endes, der legitimation ihrer eigenen e-e-e-existenz. – klaro!

»sie« waren übrigens ein buntes kleines „parlament“, das über den dingen schwebte. es fasste andauernd beschlüsse, die man im normalfall in zweimonatlichen postsendungen zum nachlesen zugestellt bekam. (diese beschlussbündel wurden, hieß es, an einem fetten haarzopf von oben »herabgelassen«.) cindy hatte sich früh angewöhnt die viel zu großen, viel zu schweren pakete mit einem kraftvollen karateschlag in zwei teile zu spalten. – ein hobby, das c.l.m. augenzwinkernd „mein liebstes hobby“ nannte, weil das eben ... ihrem humor entsprach.

der obigen interpretation ihrer berufswahl trat cindy übrigens mit einer vehemenz entgegen, die man als zärtlich gemeinte parodie verstehen hätte können (was sie aber nicht war):

was soll dieser riesenscheiß ?!, stehst du drauf, wenn ich mich aufrege ??? na na na !?, sag schon, stehst du drauf ??