freitag, 1. mai 2020, 8:58

aus den »lehren des gläsernen hauses«, erster band, 1997


mein rucksack, ich wusste es, war zu klein für diese art von reise. wir würden ja doch nur in billigshops landen, prophezeite ich, wo wir uns unterhemden würden zulegen müssen, wäsche, fernrohre und instantnudeln. so kam es auch, fast.

wir waren noch nicht aufgebrochen gewesen, da verrückte cindy die falsche braue am oberen ende meiner »geographie« (so hieß der teil von mir, auf den ein steiler abgrund folgte, der jedenfalls nicht mehr zu mir gehörte): sie verschob diese braue nur ein kleines stück weit. ein wenig nach links. und hatte recht damit: ich sah so besser aus. zum dank legte ich ihr ehrfurchtsvoll die hand auf die schulter und zündete ein licht an :: durch das aufsagen einer zahlenkombination, die nur cindy entschlüsseln konnte (ein zeichen der feierlichkeit, ganz eindeutig), ließ ich sie wissen, dass sie mir teuer war, ein aufmerksames wesen – inmitten einer welt, die die augen im allgemeinen fest verschlossen hielt, die stur wie ein kind war, das den abfall nicht sehen wollte, das verbrauchte, die falschen brauen, die irgendwann weggeworfen wurden, weil sie nicht mehr richtig klebten. (was für eine unverhoffte ansprache!, ich genierte mich später dafür.) – cindy, im gegenzug, sprach ihren spruch: ich tue dir nur, was du mir tust!

wir kamen erstaunlich schnell voran an diesem ersten tag, mit unseren rostigen rollern, die nur geliehen waren, oder vorläufig gestohlen. wir schlugen uns an einer raststätte die bäuche voll und cindy scherte aus, um einen flüchtigen flirt mit einer truckerin zu suchen, die ihre piercings trug wie andere die falschen brauen. ich sah dem getue zu und ritzte einen strich in den rostigen lack meines rollers.

50 kilometer alias 3 stunden später nahm uns eine leuchtende stadt in empfang: wir legten uns in die kurven ihrer straßen, streiften zärtlich ihre mauern und begrüßten sie unsererseits mit lautem, kreischendem hallo. (sie hatte uns zuvor schon schüchtern berührt, was so viel hieß wie: da seid ihr ja. ich grüße euch.)

nach diesem geplänkel landeten wir in einer der spielhallen, von denen es hier nur so wimmelte –– wir waren, wir wussten es, im landkreis der „zuhörer“ gelandet: dieser war, so ging die meinung, bewohnt von einem hinterlistigen volk, genoss aber nichtsdestotrotz in übersee einen ausgezeichneten ruf: der rigorosen imagepflege der imagepfleger wegen. – die stadt jedenfalls war nur formal teil dieses landkreises, hatte sie sich doch in jeder anderen hinsicht längst einer sog. „charta des inneren exils“ verpflichtet, was so viel hieß wie: sie wollte mit den „zuhörern“ nichts zu tun haben. – das heftige glücksspiel aber war ihr, als ein relikt aus der zeit vor der lossagung, geblieben.

kaum in der rosa ausgeleuchteten spielhalle angekommen, drückte ich so viele hebel, leckte an so vielen würfeln, dass mich der schwindel überkam. zur rast gezwungen sank ich ein wenig gewollt exaltiert nieder (ein fall von übermut): von der sofalandschaft aus, die für nichtwisser wie mich in der halle bereitstand, beobachtete ich cindy, die spielte als
–––∆ ––– gäbe es kein morgen. ja: es war cindy, die die goldenen jetons in die schlitze stopfte – in mengen. die dem barkeeper zuflüsterte: »bring it on, my son!« die sich zitate von kriegsbemalung ins gesicht schmierte. die den zeigefinger immer weiter in die höhe gehen ließ (was man hier, dem himmel sei dank, nicht verstand!). die das becken schwang, sich wie ein kreisel drehte, wohl den mittelpunkt suchend. – hmm, alles klar, dachte ich, die euphorie des spiels hatte sie erwischt, sie war „gepusht“ geworden. und siehe da, sie riss sich die federn vom hut und hüpfte statt zu gehen (sie trug federnde sandalen). meine güte, dachte ich, jetzt geht sie gleich über –– ∆ ––– diese linie, die auf dem teppichboden mit kreide gezogen war: dick und gelb und orange. – huch!, jetzt war sie schon drüber.

danach ging alles, wie man das oft in filmen gesehen hatte, ganz schnell: die casinoleiterin kam durch einen rosenbogen gelaufen und legte cindy eine schleife um: sie habe das große LOS gezogen, sagte sie, sie sei nun ehrengästin dieses potenten spielcasinos. ein stein in der nordwand würde ab heute ihren namen tragen: für immer. cindy kicherte. dann wieder wurde sie ernst: sie begann eine wortspende; die filialleiterin hielt ihr dabei sogar das mikro vors gesicht: cindy dankte allen, die dies ermöglicht hätten, und zählte eine ganze reihe erfundener namen auf. ich kugelte mich in den sofakissen. gleichzeitig aber befiel mich eine fiese ahnung.


als wir zum parkplatz zurückkehrten, wo wir unsere roller vor stunden zurückgelassen hatten, fand ich den meinen mit einem zweiten strich im lack markiert. – ich verfiel in heftige unruhe ––
was ich sah, sorgte mich