aus den »lehren des gläsernen hauses«, erster band, 1997
»der kurze sommer der flora marian«
ich verließ den schachclub, strich meinen namen von der liste auf der anschlagtafel im stiegenabgang zum souterrain: dieses kellerlokal roch nach männerschweiß und dusch-das-odeur. hier trainierten auch die tischtennisspieler, anverwandte geister... / ––– ich kam nie wieder.
ich ließ meine arbeitskollegen zurück, kündigte ohne erklärung. – bald schon, malte ich mir aus, würde mein name in diesen büros nur noch sporadisch auftauchen, als bürokratisches überbleibsel, in e-mails, in gesprächen, solchen, die notwendig waren, unfreiwillig, wesentlich farblos: arbeit.
ich verkaufte mein fahrrad.
ich tauschte meinen namen gegen den eines lange toten, den niemand kannte.
ich promenierte an den stränden der côte d’azur, spendierte einen kaffee hier, einen aperitif dort. ich kleidete mich in den farben der saison, ließ mir die nägel machen, beobachtete meine anziehungskraft auf die geschlechter. ich änderte mich.
ihr name war flora. sie schlüpfte aus einem ei, stieg eine treppe hinab, schritt zu einer minimalistischen musik ein. ich hielt ihr die hand hin; ihr name fiel. ich sagte den meinen (den neuen). ein lächeln besiegelte diesen tausch.
flora fuhr auto und kiffte ohne unterlass. sie trug glitzerlidschatten und krauses haar, geflochten zu zöpfen. sie hatte die porzellanmalerei asiens studiert, und die europäische haute couture (paris, mailand, berlin west). sie wedelte mit den händen, gestikulierte heftig, besonders dann, wenn sich von irgendwoher widerspruch zeigte: sie ließ sich provozieren, stöckelte wild herum.
ihr rufname war flo. ihre katzen hießen hinze und kunze (nach volker braun). ihr talent war der mut: sie ging ohne scheu und ohne scham durch die gassen ihrer welt (und bald auch durch die der meinen...). sie übte die meditation, und das wach-bleiben in der oper. sie funktionierte wie ein tier, kannte 22 leidenschaften, verblieb nie in ruhigem einverständnis, sondern verschwand, wenn es soweit war, immerzu mit einem großen ABER-ABER, das letzte wort habend, in die nacht: jeder abschied ein tamtam, jedes aufwiedersehen-sagen ein großes thema: und vielleicht ein problem.
f-f-f-flora, kündigst du dich an, wenn du kommst? legst du mir einen zettel unter den stein, damit ich weiß, dass du schon da bist? soll ich auf dich warten? soll ich wieder geh’n?
meine ratlosigkeit war ein zu enger schnürschuh: sie schmerzte mich. ich tanzte nach floras pfeife wie ein... wie ein... wie ein idiot! – kurz nach mitternacht schleppte ich mich zur tankstelle, um kekse zu kaufen, und schnaps. und katzenfutter. tagsüber traf ich ständig vorbereitungen. abends war ich bereit. bloß geschah meistens nichts. ich wartete. ich hielt die suppe warm. tropfte mandarinenöl in die duftlampe, tauschte die kerze aus. sah auf die uhr, warf mir, unterkühlt ein wenig, einen bademantel über (ich war ja fast nackt). hektisch kontrollierte ich die nachrichten; wieder kein anruf, dann ein geräusch; achso die katze; ein schluck aus der flasche, irgendwann nickte ich ein. (was war das für ein leben?) (eines in sexueller abhängigkeit – ?)
f. teilte kinnhaken aus, ritzte ihre initialen in zwei bauchdecken, spendete schläge in den magen, eine watschn, einen hieb, einen satz, einen satz heissssse ohrn, einen tritt in die kniekehle, einen zweiten: haute, haute, haute, schlug, peitschte aus, würgte rein, wischte weg, hantierte mit der nagelfeile: rrrrrr, rrrrampffff. –– f.s gewaltphantasien waren zahlreich, bunt, laut, nicht nur an bud spencer-filmen geschult: sie träumte diese gewalt und schrieb sie hinterher auf. abends saß ich allein im kerzenschein und las mir selbst laut aus diesen aufzeichnungen vor: dazwischen stammelte ich – mein verhalten konsequent selbst beobachtend: meinen alten namen. (war ich ein erbärmliches bild? ein mensch als bild?)
f. kannte meinen alten namen nicht.
zwei wochen später, auf dem weg nach mailand, verschwand ich: warf mich hinter der autobahnraststätte ins gebüsch und kehrte nicht wieder –– / war und blieb:
auf allen zwei beinen
allein