
Vorspiel
1879 - Friedrich N. ist froh, dass er ENDLICH nicht mehr lesen muss; es hat 36 Jahre gedauert - Friedrich ist jetzt glücklicher: "Meine Augen allein machten ein Ende mit aller Bücherwürmerei, auf deutsch Philologie: ich war vom 'Buch' erlöst, ich las jahrelang nichts mehr - die größte Wohltat, die ich mir je erwiesen habe!"
1988 - Klaus Theweleit erzählt eine Geschichte: "Nietzsche, dreiviertelblind, geht voran: als erster europäischer Philosoph mechanisiert er sich und bestellt eine Schreibmaschine, eine dänische Malling Hansen. Auf der Suche nach einem Mann, der ihm die Maschine bedienen soll - sie ist immer kaputt, 'delikat wie ein junger Hund' - wird ihm eine Frau vorgestellt (eine Nietzsche-'Schülerin'), in die er sich (vergeblich) verliebt: Lou Salomé; später eine der ersten Psychoanalytikerinnen."
1882 - Nietzsche schreibt einen Brief an Paul Rée: "Grüßen Sie mir diese Russin v. mir wenn es irgendeinen Sinn hat: ich bin nach dieser Gattung von Seelen lüstern. Ja ich gehe nächstens auf Raub danach aus..."
Mythen, Falschgeld, Blüten
II.
Und was, wenn die Wahrheit ein Weib ist? Ein Weib, das sich immer nur versteckt?
Vieles, worüber (noch) nicht gesprochen wurde: wenn der Messias kommt, kommt er als Irrer, als Gepeinigter, verflucht Kaputter.
Und dort, an der Ecke: dea ex machina. Die hat uns gerade gefehlt! Es ist wahr. Weil wir uns dauernd nur unterbrechen (gegenseitig), weil wir gar nicht mehr zu Wort kommen, weil die ganze Verwirrung wieder (über uns) kommt, wünschen wir: eine Lösung. Eine konsequente Entscheidung, von hoher Stelle. – wir haben den Draht schon lange verloren: die Verbindung, wie wir sie kannten, ist eine Ahnengalerie, auch: alle tot! Wohin sollen wir sprechen? – Wenn die Leitungen gekappt sind, sprechen wir noch immer den Fernsehdialog nach. Das ist nicht unser geringstes Übel.
Nur mehr Allegorien, in unserm abgestandenen Land. Nur mehr die ganz großen Erscheinungen, aber immerhin. Was hinter den Grabsteinen ist, woher sollen wir: wissen? – Unsre ganzen Totenfeiern, wir haben gedacht: eines Tages, ja, da kommen die ganzen Toten aus dem Versteck raus, und machen noch mal alles neu. Und die Farben, wenn die auferstehen, sind wir nicht mehr grau in grau, sind wir Schmetterlinge, Engel, Puppen, Zwerge. – Sie sind nicht gekommen.
Der Messias kommt direkt aus der Apokalypse. Er hat alles gesehen. Die Märchenfiguren, die er allesamt persönlich kennt, sitzen ihm auf der Schulter, und die Schönen, die Neider, die Verzweifler, auch die. Was er trägt, ist nicht mehr das Kreuz; er ist der Schänder, der die Gräber verrückt, alles umgräbt; - wenn er sieht: da bahnt sich der Feind an. - Der ist aber schön. Es ist die Göttin, die Jungfrau Ma – (/... /)..., die abgefertigte. Der Messias ist ein alter Mann. Er hat auf sich selbst warten müssen, ein ganzes Leben lang. Dabei hätt’ er viel lieber verrecken wollen, statt die Schäfchen zählen, Tag um Tag, bis er dran ist, bis er rauf darf, auf die Bühne, rein ins Leben – sagt er: ist doch dasselbe!
Und die gute Göttin, sie ist eine Neugeburt. Frisch wie nie. – Die guten Gaben, die fragen wir nicht nach, die kommen daher wie die Unwetter. –Wenn wir Glück haben, machen wir uns (später) selbst zu den Ahnen, den eigenen. Wenn wir die Galerie abgeh’n, sind die Narben (dann) getilgt, sind die Visagen (dann) geschminkt, - wenn ich mich so in der Fensterscheibe ansehe, dann weiß ich, dass es noch teufelsschwer auf mir lastet.
Der Messias, er weiß es: er kann nur erlösen. Er kennt den Unterschied. Weil die Maschinengöttin immer alles löst: löst ja alles auf! Bringt den Himmel dar nieder. Es kommen: die reinen Seelen, die wunderbarsten Gestalten. Auch die Weltwunder. Die ganze geschützte Geschichte, die wird noch mal hochgefahren, wenn sich alles noch mal abspielt, wenn die Maschine die Zeit noch mal neu denkt.
Dagegen ist er ein Ereignis. Er kann sich nicht planen. Das war sein Fehler?
Dea spricht: Willkommen! (Alle schaudern ein bisschen, wegen dem Licht, das jetzt auftanzt, wegen den Geigen auch, die immer lauter werden, fast schon das Gehör „niederschmettern“, aber dann: genau am Höhepunkt plötzlich absterben, für einen: Effekt.)
Dea spricht: ...
Messias faul, niedergeschlagen in der Ecke. Jetzt weiß er gar nichts mehr. Bald ist’s auch gegessen, sagt er sich, wenn die fatale Gestalt da, wenn die Schöne alle täuscht. Aber noch fataler: wird ja alles gut, wenn sie die Maschine anwirft, die sie ist. Ist ja das, und das allein, die Lösung, das Heil aus der Maschine, die schöne Vase, ja, ist sie, kein Blut, kein fehlerhaftes Blut, im Maschinengewand, nur die Zwecke, die guten, die Verse, die schönen, die Geigen, Flöten, soviel Sonnenlicht, kommt auch plötzlich: aus den Gräbern. Aber die hab ich doch gerade niedermetzeln wollen, damit ihr endlich euch abkehr’n könnt, von euren Geistern, von den ganzen Gespenstern, die euch doch nur verfluchen.
Und sie wissen nichts. Wie die Göttin jetzt noch mal sich im Kreis dreht! – Da fahr’n die Gehirne Achterbahn, in tödlicher Frequenz; es ist, als wär’n wir elektrisch.
Was aus dem Nichts auftaucht, ist ein riesenhaftes Katapult. Ja, ja, du Augenzeugin, hast’ schon richtig gesehen. Dreihundert Männer ziehn’s in die Szene rein.
Fatal! – schreit der Messias. Er ist schon dumpf, mittlerweile. Er weiß es ja selbst: seine Überlebenszeit ist gering. Kommt er ja nur für den Moment.- eine Flut... da sind: Säfte... die keiner versteht... –