Tatsachen in Arbeit: "Klara Magdalena Maria B. - oder: die älteste Sache der Welt... nimmt wahrscheinlich wiedermal ihren tödlichen Ausgang!"


„Gang der Handlung: Erster Akt: Erster Auftritt: Es ist Sonntagmorgen. Die Mutter ist von langer schwerer Krankheit wieder genesen. Sie hat sich zum Kirchgang und Abendmahl vorbereitet. Dazu hat sie ihr Hochzeitskleid angezogen. Klara ist überrascht, denn bisher hat sich die Mutter immer geweigert, dieses Kleid, das sie einst trug, noch einmal anzuziehen, weil sie es als ihr Leichenkleid bestimmt hatte. Jetzt trägt sie es zum Dank dafür, dass Gott sie vor dem Tod bewahrt hat.“

KLARA MAGDALENA MARIA B.:
Es ist nicht zu fassen, dass du das Kleid da anhast, Mutter! Seit du zur Kirche gehst, bist du sowieso ein anderer Mensch. Ich hab dir noch sagen wollen, vorgestern, dass die graue Eminenz nicht wirklich grau ist, dass man das nur so sagt: und heute stehst du schon da, in dem ... dem.. Aschenkleid, da! Mit dem Brautkleid sich in den Ofen legen! Das ist wieder mal typisch, eigentlich, dass du nur noch zur Provokation neigst, Mutter, dass du stundenlang still in der Ecke lehnst, dann aber plötzlich auffährst, schrecklich nervös, ganz angetan von dir selbst, auch, wie mir scheint, und dann raus rennst. Ich hab dir neulich auch gesagt, dass das mit dem Schicksal nicht so gemeint war. Dass du jetzt nicht tot bist, heißt ja nicht unwiederbringlich, dass du morgen stirbst. Du musst das auch mal einsehen...
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BETTINE B.:
Insgeheim bin ich böse auf dich, aber: ich komm ja immer nur zum Korrekturlesen rüber. Ich weiß schon, dass ich angestellt bin, bei dir; dass du mich bezahlst; dass das eine Dienstleistung ist, aber: wie soll ich dir näher kommen, wenn du selbst die Briefe von mir, ständig, wenn du die ganzen Briefe von mir – eins zu eins – da reinschreibst. Es ist tatsächlich wahr: dass ich zum Korrekturlesen komme, ich korrigiere meine eigenen Briefe - an dich; ich war schon neulich soweit, dass ich sie Liebesbriefe genannt habe, aber nur vorm Spiegel.
Also was hab ich davon, wenn ich mit dem Rotstift über meine eigenen Liebesbriefe drübergehn muss, und du mir dann erklärst: da müsse noch was gemacht werden: wozu man jemanden zum Korrekturlesen brauche, wenn der dann nicht mal ordentlich drüberlektoriert, wie man sich das vorstellt; nächstes mal schick ich das nach F*, da haben die andere Sitten.

KAROLINE VON KANT: Ich schreib heute noch meine Memoiren!

BETTINE B.: Sag doch noch mal das von gestern!

KAROLINE VON KANT: Ich sag noch mal das von gestern: „Wir gelangen jetzt zu dem Anfang meiner Existenz als denkendes Wesen. Meine Erinnerung setzt erst Anfang August 1733 ein; ich war also damals acht Jahre und vier Monate alt: Ich stand in einer Ecke des Zimmers und hatte meinen Kopf an die Wand gelehnt; meine Augen waren auf das Blut gerichtet, das, in großer Menge meiner Nase entströmt, auf den Fußboden floss.“ -
Ich schreib heute noch meine Memoiren!

BETTINE B.: Und dein erster Satz?
KAROLINE VON KANT: Mein erster Satz: „Junge Urteilskraft ist jung.“
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KLARA MAGDALENA MARIA B.:
Ich habe dir auch gesagt, dass der Bibeltext nicht vom Himmel gefallen ist. Ich habe dir gesagt, dass diese Schrift da, dass die nicht von deinem Gott geschrieben ist. Du musst einsehen, dass jemand gekommen ist, und eine Geschichte nacherzählt hat. Weil du, liebe Mutter, in der totalen Gegenwart lebst, hast du keine Chance mehr, zu verstehen, was es heißt, wenn etwas nach-erzählt ist. Du musst begreifen, dass das ein Buch ist, das kommt aus einem Kellerloch, dort wird das frisch gehalten. Aber es wird nicht jeden Tag frisch gemacht. Da sitzt niemand hinter den Seiten, und zu dir, Mutter, spricht – von da hinten - schon gar niemand.
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KAROLINE VON KANT:
Also ich stelle mir das so vor: Du spielst dich selbst, während ich mich in eine Amazone verwandle, aus Wasser Gold mache, und dich dann mit dem ganzen Gold schmücke, ja?, als wärst du ein Baum, also du musst dann die Arme abstehen lassen, von dir, ich häng dir das dann drüber, und du fängst dann zu strahlen an, bist also sozusagen erleuchtet, durch dein Äußeres, - wir werden das dann noch durch die Scheinwerfer ganz besonders deutlich machen, - und wir sehen dann an dir, dass du endlich beginnst, eine Innerlichkeit aufzubauen, dass du also merkst, dass das, was du in dir drin hast, auch richtig wertvoll ist, und schließlich wirst du beginnen, deine Biographie zu schreiben, also man sieht dich in der letzten Einstellung derart: du sitzt an einem Tisch, mit dem Füller in der Hand und...

BETTINE B.: Ich weiß seit langem, dass ich mich von dir betrogen fühle – und ich sehe gleichzeitig die ganze Faszination, die von dir ausgeht, und stilisiere mich also zum Opfer; also ich sehe, dass unsere Beziehung einzig und allein darauf baut, dass ich ungemein viel darüber nachdenke, worauf unsere Beziehung baut.

KAROLINE VON KANT: Du müsstest dann im Film schon ein bisschen lauter sprechen. Du bekommst da nämlich schon eine Sprechrolle, also es ist nicht nur deine ganze Körperlichkeit, die du da reinstecken wirst müssen, du musst dir den Text dann auch wirklich einverleiben, wie man sagt. Also wenn du dann so leise sprichst wie eben, dann kann ich dich als Charakter nicht haben, dann kann ich von dir als Charakter keine Entwicklung erwarten, was aber der Sinn der ganzen Sache ist, dass du zu deinem Charakter findest, indem du endlich merkst, dass du eine Innerlichkeit hast.
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„Gang der Handlung: Erster Akt: Zweiter Auftritt: Karl tritt auf, mit einer neuen goldenen Kette geschmückt. Klara wundert sich über dieses kostbare Stück. Der Bruder ist verärgert über ihr Misstrauen, er erklärt, dass er nicht umsonst so lange Überstunden in der Werkstatt gemacht habe. Dann bittet er die Mutter um einen Gulden. Sie zögert, ihm das Geld, das sie vom notwendigen Haushaltungsgeld nehmen müsste, zu geben. Karl fühlt sich ungerecht behandelt. Unter unverständlichen Anspielungen, dass er das Geld auch anderweitig beschaffen könne, verlässt er die beiden.“

KLARA MAGDALENA MARIA B.: Ich habe mich darauf verlassen, dass du mit mir verwandt bist, dass du mein Bruder bist, dass wir aus derselben Rippe sind. Aber in welche Richtung das Ganze mit dir geht, da kann ich nur mehr staunen, aber in Wahrheit: bin ich verzweifelt! Und ich gestehe mir das auch ein.
Aber es muss noch etwas anderes geben, als uns, hier – es muss jawohl von Außen kommen, der Keim, - der Keim der puren Zerstörung ist das, also der muss doch von Außen kommen. Ich will nicht zugeben müssen, dass wir selbst so gestrickt sind, dass wir uns von Innen her zerstören.
Du kommst an, mit der Goldkette, und ich sehe doch sofort, dass unsere ganze Familiengeschichte sabotiert wird. Und ich spreche nicht von einem Symbol. Das ist hier nicht meine übermenschliche Interpretationsleistung, die ich anwende. Sondern: ich sehe klar und deutlich, dass dein Auftritt unsere Lebensläufe verschiebt, beeinflusst. Dass du also dabei bist, unseren Alltag langfristig zu ändern; und ich muss dir also die Frage stellen, ob die religiöse Fanatikerin als Mutter nicht ausreicht, um ein Trauerspiel zu imitieren, oder ob du mit deinem Auftritt noch eins draufsetzten willst, und jetzt einen Bruder darstellen willst, den der Reichtum so schlecht werden lässt, dass er seine Wurzeln vergisst und ein Anderer wird, also einer wird, den die eigene Schwester nicht mehr wiedererkennen kann, der vielleicht kriminell wird, und der vielleicht auch die eigene Schwester mit in den Dreck zieht, weil die nämlich verzweifelt versucht, ihn zu retten; also zuerst mal ihn von den falschen Freunden und den falschen Büchern fernhalten will, so aber auch mit dem Übel sozusagen in Berührung gerät, und damit also auch am absteigenden Ast sitzt, wo der Umgang miteinander so heillos verdorben ist, dass du mich dazu zwingst, mich auf der Straße für Geld zu verkaufen, und ich dich schließlich umbringe, aus blinder Wut, um am Ende mit der (mittlerweile zur Priesterin geweihten) Mutter, (nachdem sie uns beide im Sakrament ihrer irren Religion gesalbt und gesegnet hat), von der Klippe zu springen.
Ich bitte dich nur darum, lieber Bruder, diese Goldkette zu vernichten, im Sinne unserer Abstammung, unserer Herkunft, Zukunft... usw., also wenn die Mutter schon sich in ihre Präsenz geflüchtet hat, und nicht mehr raus aus sich sieht (nach hinten wie vorne nicht), dass du dann wenigstens die Augen öffnen willst, um zu sehen, dass das, wovon ich spreche, keine unglückliche Vision ist, sondern dass das wahrscheinlich unsre Zukunft ist, womit ich dir noch mal zu verstehen geben möchte: nimm die Kette und zerreiß sie in tausend Stücke, mindestens!