dienstag, 14. april 2020, 14:08

aus den »lehren des gläsernen hauses«, erster band, 1997,
kapitel 15: »jahre bitterer blüte«


in meiner jugend war ich kleiner, ein anarchistischer geist, eine knospe, ein quadratschädel: man verbot mir auszuwandern: meine eltern hingen an mir und nagelten mich fest. – so entwickelte ich einen widerwillen, gegen das festgenageltwerden.

aus enttäuschter freiheitsliebe besang ich meine unheilbare sehnsucht in tieftraurigen liedern, öffnete nachts das fenster und richtete meine poesie an die venus, den mond, den großen wagen, die nachbarin. ich war noch unausgestaltet. ich hatte vieles vor, und doch so wenige möglichkeiten. der mond antwortete: nicht.

ich verweigerte den haushaltsdienst und zog mir den unmut meiner geschwister zu: sie kritisierten meine »politik«, und hatten sie doch auszubaden: statt meiner schrubbten sie die pfannen. ich schämte mich. ich hielt durch.

ich akzeptierte keine autorität: ich ging im kreis, ich schüttete großflächige schüttbilder an die wand, mein geist war übervoll, nichts härtete aus, alles blubberte – als unfertiges, als unruheherd.

meine gedanken ordnete ich im geheimen: ich »vergeheimnisste« den alltag. ich hielt nur das notwendigste nicht von mir fern. ich begann mit körperübungen: ich dehnte, streckte mich, ging in die länge, breite, höhe. elastizität war plötzlich eine tugend. ich sah auf die menschen um mich: beurteilte ihr elastisch-sein, ordnete sie nach elastizitätsgraden in gruppen: 1-10. ich fertigte dazu aufzeichnungen an, die ich in kleinen mappen archivierte. dieser spleen dauerte 3 jahre.

mein leben war, ich wusste es, die nebenwirkung meiner kindheit.