donnerstag, 30. april 2020, 9:02

aus den »lehren des gläsernen hauses«, erster band, 1997


aus eis und schnee
cindy la maine stöhnte auf, geplagt vom gewicht ihres geheimnisses: sie war eine schlittenhündin, die ein schweres bündel – arbeit!, schufterei! – hinter sich her zog. genau genommen, man konnte es auf den satellitenbildern aus dem all gut erkennen, waren es viele geheimnisse; ja genau genommen hing am ersten ein nächstes, und an diesem ein weiteres, und so weiter, und immer so fort. widerwillig zog cindy diese lange kette durch einen kanadischen wald, auf schmalen pfaden, dann wieder durch verschneite weiten, einem fremden alaska entgegen. – eine geschicklichkeitsübung?, nein!, eine strenge prüfung ihrer geschicklichkeit.

wenn sie in der abenddämmerung einen schlafplatz zur nachtruhe suchte, kalkulierte cindy ihren anhang mit ein: suchte nach einem flecken erde, der sie alle beherbergen konnte, der platz genug bot für das zelt, in dem sie schlief, und die große plane, auf der die geheimnisse sich niederließen. nur so schließlich kam sie zu jenen 5 stunden schlaf, die sie benötigte, um dieses weltverhältnis aufrechtzuerhalten.

eines nachts zog eines der geheimnisse eine axt aus der brusttasche und metzelte alle seine geschwister nieder. das blutbad fing die treue plane auf. sie hielt die fakten zusammen – und sicherte die unversehrtheit, die reinheit des schnees ringsum. beim anblick der toten leiber (der abgestorbenen materie) wuchsen cindy eiszapfen aus dem gesicht, horizontal in die welt hinaus, wie kleine sendemasten, die nach einem signal suchten, das genau jetzt antworten hätte geben können: wo war das mordende geheimnis hin?, hatte es sich selbst gerichtet?, sich ausgeschaltet, als eine art vollendung, ja krönung des getanen? oder war es geflohen?

cindy spürte ein ziehen auf dem rücken. es war ein schlitz, der sich öffnete, eine tür, eine kleine pforte, die aufging. es war keine axt, die ihren körper aufschlitzen, zerschlagen, sprengen hätte wollen, nein: es war das geheimnis, das sich ihr von oben in die eingeweide bohrte, fast behutsam, ohne grobe gewalt: ein jedenfalls noch lebender eindringling, vielleicht einem polypen ähnlich, der sich einnisten wollte. für vergleiche aber, die das verständis einer situation wie dieser in actu hätten befördern können, blieb keine zeit, blieben keine nerven: das geheimnis drang immer weiter vor, ja zur gänze ein; die öffnung schloss sich wieder – und alle fragezeichen prasselten auf eine einzige hündin nieder. ∞∞∞∞∞ cindy, ausgestattet mit instrumenten, die ihr auf ihrer expedition schon auf die eine oder andere weise nützlich gewesen waren, überprüfte ihr gewicht auf einer körperwaage: ja, sie hatte zugelegt. eindeutig schwerer als vorher erbrach sie urplötzlich einen batzen gelben schleims in den schnee. das war das ende der reinheit.

ausgestattet mit einem nachtsichtgerät, das ihr eine traube willfähriger grenzpolizistinnen einmal nach einer durchzechten nacht überlassen hatte, hatte eine elster das treiben schon die ganze zeit über von einer tannenspitze aus beobachtet.
sie war es, die die behörden informierte.