liebe auskoster,
nehmt diesen auszug aus meinem »sendbrief an die weltraumaffine jugend«, erschienen 1996 im prestigeblatt »euer blau scheckierter pubertätsbegleiter, gegeben zur lektüre mit einer hand«, bitte möglichst wortlos hin:
»wir katapultieren uns – einen mittelmäßigen schrei ausstoßend – in dieses leben. ja, wir tun es selbst: wir nehmen diese rolle ein. – die welt erscheint uns als spielplatz – oder frivoles brettspiel. man spielt mit uns. doch wir spielen auch! es spielen die einen mit den anderen, die anderen mit den einen. das kindgleiche (imitation!), das kindliche (original!) spielverhalten regelt, dass uns kein verlust, keine niederlage droht: in der schwelgerischen kindheitsblüte spielt sich das spiel total, wir sind passiv-aktiv anheimgegeben einer wucht, die uns wirbelt: wir schmatzen und stöhnen auf! es ist der himmel, es wäre der himmel, wäre uns der himmel doch nur vergönnt! – denn: es fallen, oh schicksalsgewalt!, schon die würfel. die falle schnappt zu. der hosenschlitz wird geschlossen. die nippel versiegen. der supermarkt macht dicht. wir sind allein. die welt fällt ein. wir greifen noch einmal verzweifelt zu: und erwischen nichts.
ist das ende eines anfangs.
wie es kommt, muss es kommen, denn es kommt, wie es kommen kann, und also wird: wir treten aus der flugbahn dieses reichs der freiheit aus, beschreiten allenthalben fiese wege ins unfreie, traben auf ausgetretenen pfaden – so schnö kannst ned schaun. es ist, als trübe sich die linse, die konturen werden fahl. alles erstirbt. ist ein wenig tot. wird es. wird toter! vielleicht entpuppt sich alles? zeigt ein wahres gesicht? und vielleicht nehmen auch wir, verdammte plage!, teile dieses gesichts in unseres auf (plastische chirurgie!), und sehen uns ab sofort im spiegel zu – beim erschlaffen, absparen, runtertrainieren? – wir lesen von den emaillierten schildern ab:
wir rascheln, unsere verzweiflung preisgebend, mit unseren geburtsurkunden in den büschen. wir wollen beweisen, dass wir frisch sind, saftig, und nicht bereit ausgepresst in den heimen zu vegetieren, bewacht von den kontrollettis, die uns kontrollieren. es hilft nichts. alles hilft nichts.
eine frau namens „frl. härthner“ erwartet uns hinter einem seidenumspannten schalter. sie öffnet das sprechloch weit. sie ruft uns zu: »DA SEID IHR JA!« es erfasst uns die nackte, aufschlitzendste angst. wir drehen uns um, hoffend, ES STÜNDE JEMAND HINTER UNS, auf den sich diese ansage beziehen ließe. die ominösen jemands bleiben aus. wir fehlten weit. wir gefehlten!, wir waren falsch gedreht! – wir sind es.
fräulein härthner will fräulein genannt werden. wir erröten vor scham.
sie reicht uns ein papier. es prangt darauf in riesenlettern frech kolossal der titel: ANTRAG ZUR EHESTMÖGLICHEN BESCHEINIGUNG DER BETEILIGUNG.
wir zucken. aus.
was in uns noch des morgens keimte: säfte, flüssigkeiten, sprudel, moralische ambivalenz: es wird hart in den venen. kaum noch, DASS ES FLIESST. – ja, wir erhärten.
wir greifen uns, blind-trotzig, an die hüften. wir testen es noch einmal aus: wir kosten. – doch der geschmack: versackt.
frl. härthner erteilt uns in worten eine abreibung und begrüsst uns im reich der zwänge, das von nun an unsere heimstatt sei!, sein soll!, wird! – wir glauben nicht. man macht uns glauben. mit grünem tee. und ruten.
wir waren einmal bewaffnet mit neugier und erogenen zonen,
doch das ist nun
lernt! strebt! geht allein, geht zu vielen, verderbt euch selbst die jugend! nehmt euch ein beispiel an den rührschüsseln, die das leben aus euren tanten und onkels gemacht hat: so stehen sie da!, nutzlos, verunstaltet von »funktionen«, die den erdball beschämen. sie kümmern dahin, irgendjemand redet (nur zum schein) »zwanglos« noch auf sie ein. es geht ihnen durchs mark, durchs bein. es sickert alles durch, und nichts bleibt hängen. – erlöst uns! befreit uns! macht uns ganz! macht uns unvollständig! holt uns zurück ins ungefähre!, sagen sie. und (kleinlaut): wir wollen spielen.«
es schickt euch, wie stets,
pralle verlustgrüße
mitten rein ins herzilein
euer
edelbeisser,
ritschy